Umnutzung und neue Wege unter der Leitung von Sabine und Oliver Weisbrod-Steiner
Gelungene Übergabe
2006 waren Oliver und Sabine Weisbrod-Steiner bereit, gemeinsam die Verantwortung für die Geschäftsleitung der Firma anzutreten. Als Quereinsteiger hatten sie sich in den vergangenen Jahren durch die erfolgreiche Umsetzung von innovativen Projekten die nötige Akzeptanz erarbeitet. Ronald Weisbrod behielt bis Ende 2022 die strategisch beratende Funktion als Verwaltungsratspräsident. Auch der Controller Edi Waldesbühl hat mit viel Geduld Aufbauarbeit für das junge Führungspaar geleistet.
Hoffnungsvolle zukunftsweisende Projekte
Mit der Einführung der Eigenmarke Weisbrod im Accessoire-Bereich mit in der Schweiz hergestellten Krawatten und Schals machte die Weisbrod-Zürrer AG 2004 einen Schritt direkt an den Markt. Bis dahin war man stets ein Zulieferer der grossen Marken gewesen. Der Direktzugang zum Markt wurde nötig, denn die traditionellen Mode-Kunden in Europa verschwanden zusehends oder begannen bei günstigeren Anbietern einzukaufen.
Lässig, jung und Swissmade – 2004 gab es noch einen Markt für das Seiden-Produkt
Ermutigt durch den positiven Start des Online-Shops wurde im Jahr 2005 beim Zürcher Hotel Greulich eine kleine Boutique für Krawatten und Schals eröffnet. Dieser folgte 2010 ein kleines, feines Geschäft neben dem Heimatwerk an der Kramgasse in Bern. Dort wurden Hausemer Stoffe zu einer edlen Damen-Bekleidungs-Kollektion Made in Switzerland angeboten. Die Verantwortung für diese beiden Boutiquen und deren Kollektionen teilten sich die Schwestern von Oliver, Lilian und Christin Weisbrod. Sie übernahmen diese Aufgabe mit grossem Engagement und leisteten damit grosse und kreative Unterstützung zur schweizweiten Bekanntmachung der neuen Marke Weisbrod.
Schaufenster der Boutique an der Kramgasse in Bern
Dank der naturwissenschaftlichen Ausbildung von Sabine und Oliver scheuten sich diese nicht, Forschungsprojekte mit Hochschulen zu starten. Unterstützt durch das damalige Innovations-Programm KTI lancierte die Weisbrod-Zürrer AG innovative Produkte, um der Weberei ergänzende Aufträge zu verschaffen. Dies waren einerseits Krawatten mit einer speziell auf Seide ausgerichteten, schmutzabweisenden Ausrüstung, die unter dem Namen «cocoontec» geschützt wurde. Andererseits lancierten sie die weltweit erste GOTS-zertifizierte Bio-Seidengewebe-Kollektion. Oder auch Gewebe aus Seidengarnen, die mittels Plasmatechnologie mit reinem Gold beschichtet waren sowie Innendekorations-Stoffe mit eingewobenen lichtleitenden Fasern als Gestaltungselement für Glasfassaden. Diese Fasern wurden im Produktionsprozess an der gewünschten Stelle mit einem Laser verletzt, damit das Muster leuchtend aufschien.
Mit dem neuen Bedarf an 3.5 Meter breiten Vorhangstoffen für die moderne Glasfassaden-Architektur entschied sich die Firmenleitung, in eine neue Produktions- und eine Ausrüstungshalle zu investieren. Zuvor konnten diese Stoffe zwar in Hausen entworfen, aber noch nicht hergestellt werden. Zum Beispiel stellte die Firma Boller-Winkler AG in Turbenthal solche Gewebe nach dem Design von Weisbrod-Zürrer her. In Hausen wurde 2006 ein neues Gebäude für eine einmalige Ausrüstungsmaschine für breite Stoffe gebaut. Dadurch konnte das für die Wirkung breiter Stoffe wichtige Knowhow im Haus behalten werden. Weil Boller-Winkler den Webereibetrieb 2007 einstellte, liess Weisbrod 2008 in Rekordzeit in Hausen am Albis eine neue Webereihalle erstellen und übernahm vom aufgelösten Betrieb deren Produktionsteil (Maschinen und Artikel). In der neuen Halle fanden die 6.5m hohen Jacquard-Maschinen für die kreativen breiten Vorhang-Stoffe Platz. Durch diese Investitionsmassnahme in die einzige wachsende Abteilung konnten Produktion und Ausrüstung der Gewebe im Haus vorgenommen werden. Die Exklusivität der hochkreativen Vorhangstoffe blieb so gewährleistet, denn sie war ein wichtiges Kriterium für die Treue der Kundschaft. Hier konnten die Kunden mit ihren edlen Innendekorations-Kollektionen sicher sein, dass ihre Dessins nicht an andere Kunden weitergegeben oder kopiert wurden. Dank dieser Massnahme erhoffte sich die Geschäftsleitung, das Wachstum der Abteilung sichern und auszubauen zu können.
Die breiten Jacquard-Maschinen von Boller Textiles werden in der 2007 gebauten Weberei in Betrieb genommen.
Einbruch der Absätze und Neuausrichtung der Firma
Durch die Abkühlung der Wirtschaft infolge der Finanzkrise 2008 blieben die Investitionsentscheide der End-Kunden aus. Die Franken-Aufwertung von 2009 verteuerte die Stoffe zusätzlich. Preiserhöhungen wurden vom Markt aber mitten in der Krise nicht akzeptiert. Die Kunden der Weisbrod-Zürrer AG liessen nur noch kreative Musterungen erstellen, wichen aber für die grossen Mengen auf billigere Produktionsstandorte aus. Von dieser Massnahme hatte die Kundschaft bisher wegen der Kopier-Gefahr abgesehen, Weisbrod hatte ihnen immer Exklusivität garantiert. Nun waren in allen drei Abteilungen grosse Rückgänge zu verzeichnen, was zu enorm grossen Verlusten führte. In dieser Situation sah sich der Verwaltungsrat mit dem Rückhalt der Aktionärsfamilie im Oktober 2011 zum Entscheid gezwungen, den Webereibetrieb in Hausen im April 2012 einzustellen. Es zeigte sich, dass eine profitable Produktion von Stoffen in Hausen nicht mehr möglich war. Bei der Produktions-Schliessung umfasste die Belegschaft total 98 Angestellte, wovon 78 ihre Arbeit verloren. Davon waren in der Designabteilung zehn Fachpersonen beschäftigt, dreissig in der Weberei, 15 im Verkauf und weitere15 in der Ausrüstung, Stoffkontrolle und Spedition, die übrigen in der allgemeinen Verwaltung. Dank einem Sozialplan konnte allen eine Abfindung bezahlt werden. Ein Teil fand in anderen Webereien wieder eine Stelle, musste aber dafür lange Arbeitswege in Kauf nehmen. Die meisten schulten sich um für den Einsatz in anderen Branchen und konnten dafür in der Region bleiben.
Nach der Schliessung der Weberei verkaufte die Weisbrod-Zürrer AG die knapp 100 Webmaschinen und die Garn- und Stoff-Lager. Man fand Abnehmer im Osten Deutschlands, die zumindest das Innendekorationsstoff-Geschäft weiterführten und zwei Mitarbeitende übernahmen. Doch auch diese Weberei hatte nur noch eine Weile Bestand.
Nach dem Rückbau der Produktion in Hausen und der Sanierung der Räumlichkeiten wurden 2013 der Stoffladen und die Büros im ehemaligen Ausrüstungsgebäude zusammengezogen, damit im Rest des Areals durch den Einzug von Mietern wieder Leben einkehren konnte.
Wenige Jahre später musste auch eingesehen werden, dass die beiden Boutiquen in Zürich und Bern nicht erfolgreich weitergeführt werden können. In diesen waren Accessoires und Kleider aus den in Hausen produzierten Stoffen verkauft worden, dieses Verkaufsargument fiel nun weg. Im Jahr 2014 fiel dann der Entscheid, die erlittenen Verluste aus dem Boutique-Geschäft seien auch nicht länger tragbar. Dieser Entscheid führte auch zum Austritt von Christin und Lilian Weisbrod, die sich wieder ihren ursprünglich gelernten Berufen zuwandten. Weitergeführt wurde der Online-Shop für Accessoires und für Corporate Identity der dank Aufträgen von Firmen, Zünften und Vereinen weiter besteht. Die Stoffe dafür werden in einem Familienbetrieb in Como gefertigt, zu dem ein partnerschaftliches Verhältnis besteht.
Während dieser schwierigen Jahre kam die Weisbrod-Zürrer AG auch noch unverhofft in den Besitz des Cravatiers Hofmann & Co. AG in Zürich. Dieser war der grösste Kunde der Krawattenstoff-Abteilung und durch seine Zahlungsunfähigkeit gelangte er in den Besitz seines grössten Kreditors Weisbrod. Auch dem Vorhangstoff-Verlag Intair GmbH in Hamburg erging es gleich. Trotz grossen Bemühungen kam der Verwaltungsrat der Weisbrod-Zürrer AG zur Einsicht, dass die beiden Tochterfirmen nicht rentabel weitergeführt werden konnten. Somit musste die Geschäftsleitung auch diese noch in den Umstrukturierungsjahren liquidieren.
Neubau der Wohnsiedlung Törlenmatt
Parallel zu diesen Umstrukturierungsjahren im Textilbereich startete das grösste Bauprojekt in der Geschichte der Firma, angeregt durch eine Planung der Genossenschaft „Wohnen im Alter Hausen“. Die Gemeinde Hausen und die Firma Weisbrod-Zürrer AG besassen an bester Lage in Hausen hinter dem Postplatz noch unerschlossenes Reserveland. In einem Wettbewerbsprojekt wurde auf den zusammen fast 16‘000 m2 grossen Parzellen Wohnungen geplant. Das Architektur-Büro „nusus“ aus Zürich erstellte das Siegerprojekt und es entstanden 10 grosse Wohnhäuser plus das Gebäude Albisstrasse 3 mit einer Mischnutzung und der Zufahrt zur gemeinsamen Tiefgarage. Im Jahr 2017 konnten die Wohnungen bezogen werden und halfen der Firma in der Stabilisierung nach den verlustreichen Jahren.
Die neue Überbauung Törlenmatt in Hausen am Albis
Ergreifen von Chancen: Das Gewerbezentrum Weisbrod-Areal
Durch das geschickte Ergreifen von Chancen gelang es den Verantwortlichen, mit einer neuen Leitidee die Liegenschaften der ehemaligen Weberei so zu nutzen, dass in Hausen ein attraktives Gewerbezentrum mit einem breiten Angebot entstand. Um das textile Erbe zu erhalten, erweiterten Sabine und Oliver Weisbrod den bisherigen Fabrikladen zum grössten Stoffladen der Schweiz. Mit 700 m2 Stoff- und Mercerie-Auswahl ist dieses Angebot im ehemaligen Ausrüstungsgebäude mitten im Areal einzigartig.
Die restlichen rund 10’000 m2 Gewerbeflächen waren innerhalb von zwei Jahren vermietet und wieder von fast ähnlich vielen Menschen genutzt, wie bereits früher hier gearbeitet hatten. Erst nach und nach konnten die einzelnen Gebäude energetisch saniert, ansprechend renoviert und auch feuerpolizeilich auf den neusten Stand gebracht werden. Nach fünf Jahren hatte sich die Mieterschaft stabilisiert und seither fanden nur wenige Wechsel statt.
Eine grosse Bandbreite von ganz verschiedenen Mietern hat sich im Weisbrod-Areal eingerichtet. Zum zentralen Textilbereich von Weisbrod gehören neben dem Stoffladen auch die Nähkurse, die Deko-Boutique und die Restenecke. Das Projekt «Silk Memory» in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern erlaubte die Archivierung eines Teils der Weisbrod-Dessins und den Vergleich von 900 Stoffen auf einer Internet-Plattform. Die Lager in Hausen sind aber noch immer voll von unzähligen weiteren Stoffmustern. Oliver Weisbrod war auch am Aufbau des Vereins Swiss-Silk beteiligt mit der Zielsetzung, in der Schweiz Seidenraupen zu züchten und Seide zu produzieren. Diese einmaligen Accessoires mit Weisbrod-Design können im Stoffladen erstanden werden. Im Innenhof vor dem Stoffladen steht seit vielen Jahren ein Maulbeerbaum, weshalb der Platz heute «Seidenhof» genannt wird.
Dieser Hof liegt im Zentrum mehrerer Geschäfte, oft mit textilem Bezug wie Bekleidung, Kissen und Tapeten, aber auch für Haushalt-Zubehör wie Kleinmöbel, Farben und Innendekorationsartikeln.
Ein zweiter Kreis von Mietern umfasst Bewegung (Kampfsport, Fitness, Zirkus) und Gesundheit (Komplementärmedizin, Yoga und diverse Therapien). Eine weitere Gruppe arbeitet im Sektor Grafik, Kunst und Kunsthandwerk. Auch zwei Coiffeursalons gehören zum Angebot.
Zu den grösseren Gewerbebetrieben gehören ein Baugeschäft und eine Druckerei, die spezialisiert ist auf Etiketten und Verpackungen. Sie ist im industriellen Bereich der früheren Webereihallen eingemietet. Dort wird neben der Rampe zudem eine Kaffeerösterei betrieben und ein Entwicklungsatelier für Innovationen hat in der ehemaligen Schärerei seinen Platz gefunden. Das alte Laden- und Bürogebäude wurde an die Tagesschule Birke vermietet, samt einem Aussenbereich mit Spielplatz und Garten.
Die Anlage des Weisbrod Areals: Was ist das Erfolgsrezept?
Zum Charme der Anlage gehört die Lage entlang des Jonenbachs, am Rand von Hausen. Das Areal ist diskret eingebettet in die Moränenhügel von Huserholz, Grindlen, Mülimatt und Grünau und passt sich gut ins Dorfbild ein. Man spürt, dass die Anlage über lange Zeit gewachsen ist und eine Vielzahl von Nutzungen zulässt. Die Architektur der älteren Gebäude orientiert sich an den Formen der landwirtschaftlichen Ökonomiegebäude der Region, deren Giebeldächer lockern die Silhouetten der neueren Flachdach-Gebäude wohltuend auf. Die Jakob-Zürrer-Strasse zur Erschliessung des Areals schlängelt sich durch die Anlage und verbindet die beiden Innenhöfe, die durch das Langhaus, das älteste Fabrikgebäude, geteilt werden. Auch der öffentliche Wanderweg «Ämtlerweg» führt durchs Areal. Beim 1875 erstellten Langhaus handelt es sich um einen modularen Holzbau, der 2018 umfassend energetisch saniert wurde. Dank frühzeitigem Einbezug des Zürcher Heimatschutzes konnte dieses Projekt ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden und aussen wie ursprünglich mit einer Holzschindelfassade verkleidet werden. Das Gebäude mit seiner historischen Atmosphäre eignet sich gut für Nutzungen als Atelier, Therapieraum, Büro oder Verkaufslokal. Im Erdgeschoss befindet sich das charmante Café und im Dach ein geräumiges Nähkurslokal.
2022 entstand das neuste Gebäude, die Heizzentrale der Heizgenossenschaft Hausen am Albis (HGH). Oliver Weisbrod engagiert sich als deren Präsident, ähnlich wie seine Vorfahren, auf dem Gebiet der Energie-Gewinnung. Die Anlage erzeugt mit Holzschnitzeln aus der Region eine Leistung von 2’000 KW, ein Vielfaches des einstigen Kraftwerks im Aeugstertal mit 60 KW. Das gesamte Weisbrod-Areal und ein grosser Teil der Gebäude im Zentrum von Hausen wird damit beheizt.
Mieterinnen und Mieter des Areals haben sich zur «IG Weisbrod-Areal» zusammengeschlossen und organisieren regelmässig Anlässe. Im Dezember hat sich ein Adventsmärt eingebürgert und sporadisch wird ein Frühlingsmarkt veranstaltet. Jeweils Ende August findet seit 2013 das sogenannte «Rampen Open Air» (ROA) statt, organisiert von einer Gruppe junger Personen aus dem Dorf und dem Einzugsgebiet von Zürich und Zug.
Die Stimmung im ganzen Weisbrod-Areal ist geprägt von einer herzlichen Atmosphäre, für die letztlich Oliver und Sabine Weisbrod und ihr ganzes Team verantwortlich sind. In der Gemeinde Hausen wird das Angebot an Dienstleistungen, Einkaufs-Möglichkeiten und Anlässen sehr geschätzt.
Das frisch renovierte Hauptgebäude auf dem Weisbrod-Areal 2018
Ausrichtung auf die Zukunft und die nächste Generation
Ende 2022 ist das Verwaltungsrats-Präsidium an die jüngste Vertreterin der 6. Generation, Christin Weisbrod übergegangen. Es war Ronald Weisbrod wichtig, dass seine jüngste Tochter Christin dieses Mandat als weiteres Familienmitglied und ausgebildete Biologin übernahm, da sie die Philosophie des Geschäftsleiterehepaars teilt und mit ihnen zusammen die Strategie und Ausrichtung der ehemaligen Seidenweberei weiterentwickeln wird. Sie hat sich im neu aufgestellten Verwaltungsratsgremium mit nach wie vor zwei externen Mitgliedern schnell eingearbeitet und nimmt diese Aufgabe mit grossem Verantwortungsbewusstsein wahr.
Im Februar 2024 verstarb Ronald Weisbrod überraschend plötzlich, trotz langer Krankheit. Er wusste aber das Schicksal „seiner“ Firma in guten Händen und konnte getrost loslassen. Es war Ronald und Renate Weisbrod stets ein Anliegen gewesen, dass allen ihren drei Kindern die gleichen Chancen offenstanden und sie auch die gleiche Beteiligung an der Firma erhielten. So ist die Weiterführung durch die nächste Generation nachhaltig gesichert. Wie gerne hätte Ronald aber noch das 200-Jahr-Jubiläum erlebt! Er schrieb intensiv an Ergänzungen für diese Chronik, die nun durch Sabine Weisbrod eingearbeitet wurden. So setzt die ganze Familie zusammen mit dem Weisbrod-Team alles daran, den Anlass ihm zu Ehren würdig zu gestalten.