Aufschwung und Diversifikation nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Brüdern Hubert, Richard und Hans Weisbrod

Mit der Weltwirtschaftskrise nach dem Börsenkrach von 1929 begann für das Seidengeschäft eine neue Durststrecke, während der wiederum von der Liquidierung der Kollektivgesellschaft gesprochen wurde. 1930 traten die zwei Brüder Richard und Hans nach abgeschlossener Ausbildung ins Geschäft ein.

1931 schützten sich die Märkte mit Zöllen und die Währungen stürzten gegenüber dem Schweizerfranken ab. Im wichtigsten Exportmarkt England trieb die Abwertung des englischen Pfunds die Preise der Zürrer‘schen Stoffe in die Höhe. Darüber hinaus stiegen die Importzölle in England derart, dass das Geschäft fast zum Erliegen kam.

Die Gebrüder Weisbrod waren mit der schwierigen Situation konfrontiert, fast keine Aufträge für die Produktion zu haben. Jeden Morgen kam die Belegschaft nach dem Eintreffen der Post zu einer Lagebesprechung in die Firma. Waren keine Aufträge eingegangen, wurde sie wieder nach Hause geschickt.

Tochterfirma in England

Hans und Richard analysierten die noch verbleibenden Wirtschaftsmöglichkeiten für die Firma. Um die vorhandenen Aufträge aus England trotzdem ausführen zu können, entschieden sich die Brüder für den Aufbau einer Seidenweberei in England unter der Leitung des 27-jährigen Richard. Dank dem Geschäft mit Krawattenstoffen hatte man vor der Krise gute Beziehungen mit dem Land aufgebaut. So hatte Weisters in London als Grosskunde regelmässig grosse Bestellungen aufgegeben. Er machte den Weisbrods den Vorschlag, unter den bestehenden Umständen die Webmaschinen nach England zu bringen, um dort die Aufträge gleich an Ort auszuführen. Bald war eine leere Baumwollfabrik in Darwen, Lancashire, gefunden, in der die schlecht ausgelasteten Maschinen aus der Schweiz aufgebaut wurden. Die Transportkosten seien zwar höher gewesen als der Wert der Maschinen, aber sie waren besser als die englischen Maschinen. Sie wurden aus den Fabriken im Aeugstertal und Ebertswil, wo ausschliesslich für die Kollektivgesellschaft „Zürrer & Co., vorm. T. Zürrer“ gearbeitet worden war, abgezogen. Von den aufgebrachten Webern seien auf dem Bahnhof Mettmenstetten den aufgeladenen Maschinen Steine nachgeworfen worden, aus Protest gegen die „Arbeitsplatzvernichter“. Zwölf Arbeiterinnen und Angestellte hatten intensiven Englischunterricht in der Kantine in Hausen erhalten und reisten mit, um in der Startphase im neuen Unternehmen mit ihrem Knowhow mitzuwirken.

In England gründete Richard mit den zwei Partnern Denis und Eric Weisters 1933 die „“ sowie die Verkaufsgesellschaft „Zurrer-Silks“. In einem lokalen englischen Zeitungsartikel ist zu lesen:

“SWISS PRINCE CHARMING AT DARWEN MILL: From Cotton to Crêpe de Chine in Darwen. It is like a Cinderella fairy tale story. Cinderella is the out-of-work cotton weavers sitting without work by the fireside at home, and the kind fairy has come all the way from Switzerland to set up looms for them.»

Eric Weisters, beschreibt im Interview, die Weberinnen müssten nun ihre Nägel schneiden und die Hände öfters waschen, denn Seide sei viel heikler als Baumwolle.

Die Seidenweberei der Weisbrod-Zürrer AG in Darwen, England. Ca. 1936.

Von der Kollektivgesellschaft zu „Weisbrod-Zürrer-Söhne“ und „Weisbrod-Zürrer AG“

1939 übernahmen Hubert, Richard und Hans Weisbrod die Kollektivgesellschaft unter dem Namen Weisbrod-Zürrer-Söhne. Emmy Zürrer-Syfrig zog sich mit 64 Jahren zurück und liess sich ihren Anteil auszahlen. Die Kollektivgesellschaft hatte vorgängig lange keine Renditen ausbezahlt, und Tante Emmy, die die Seidenweberei Syfrig in Mettmenstetten in die Ehe eingebracht hatte, drängte auf Auszahlung.

Die Gebäude der ehemaligen Seidenweberei Syfrig in Mettmenstetten ca. 1960

Sie wollte aus der Grünau nach Kilchberg umziehen. Um Geld für die Auszahlung an Emmy zu bekommen, ohne damit den Fortbestand der Firma zu gefährden, mussten die Gebrüder Weisbrod fast alle Liegenschaften rund um die Fabrik in Hausen verkaufen. Darunter waren die Direktoren-Villa Grünau, die alte Ferggerei, die als erstes Geschäftshaus gedient hatte (Grandezza), der Bauernhof an der Zugerstrasse 25, die Liegenschaft Mülihof sowie grosse Landparzellen in der Bauzone.

Direktor Emil Huber trat gleichzeitig altershalber von seinem Posten zurück. Damit hatte die vierte Generation mit leeren Taschen die Verantwortung für den Betrieb übernommen.

Überleben während des Zweiten Weltkrieges

Der Zweite Weltkrieg von 1939-1945 war auch für das exportorientierte Seidengeschäft eine schwierige Zeit. Das Krawattengeschäft mit England kam zum Erliegen. Nach sechs Jahren Aufbauarbeit versiegten die Aufträge rasch. Man versuchte im Rahmen der englischen Kriegswirtschaft, Fallschirmstoffe und Drahtspulen für Elektromaschinen zu liefern. Auch in Hausen mussten immer neue Möglichkeiten gefunden werden, um die Rohmaterialien einzukaufen und die Produkte zu versenden. Die Preise für Rohseide betrugen 1934 noch CHF 5.50 pro Kilo, schnellten dann während des Krieges auf CHF 225.- und stabilisierten sich nach dem Krieg bei CHF 22.-. Eine Exportbewilligung aus Bern erforderte für jede Sendung bis zu 20 Formulare. So erfolgten 1944 z.B. grosse Lieferungen nach Persien, die in kleinen Postpaketen auf dem Landweg über den Balkan und die Türkei nach Persien geschickt wurden.

Mit der Fabrikation von Zellwoll-Geweben konnte die Beschäftigung der Belegschaft in Hausen und Mettmenstetten sichergestellt werden. Ein spezieller Auftrag bei Kriegsende war die Herstellung von Brokat-Geweben für die Feier der Heiligsprechung des Niklaus von der Flüe in Sachseln. Mit goldummantelten Fäden, die während des Krieges im besetzten Lyon beschafft werden konnten, zeigt der Stoff auf einem Satin-Hintergrund Klause und Kapelle im Flüeli-Ranft.

Erste synthetische Fasern in der Nachkriegszeit

Entgegen der allgemeinen Erwartung, dass nach den Zerstörungen durch den Weltkrieg eine grosse Krise folge, setzte ein grosser Aufschwung ein. Dank der Niederlassung in England hatte die Firma rasch Zugang zu den neuen synthetischen Fasern wie Nylon, Orlon und Terylene, sodass bereits 1947 in Hausen mit der Produktion von Kunstfaserstoffen begonnen werden konnte, die das Sortiment der Naturseidenstoffe ergänzten. In Hausen wurde ein Marken-Herrenhemd “Pratica” aus gesponnenem Terylene-Polyester entwickelt. Dieses Hemd konnte von Hand im Lavabo gewaschen und im Hotelzimmer über Nacht zum Trocknen aufgehängt werden. Es musste nicht gebügelt werden und war ein wahrer Renner für reisende Geschäftsleute. Schnell entwarf der kreative Richard Weisbrod in England ein Patent für einen Bügel, der über dem Lavabo mit einem Saugnapf am Spiegel befestigt werden konnte und zum Trocknen der Nylonhemden diente. Er nannte dieses Produkt “Speedo” und begann in Darwen mit der Produktion. Die dazu nötigen Drähte hat er selbst in der Fabrik gebogen. Seine Kinder erinnerten sich, die ersten „Speedos“ dann beim Fernsehschauen zusammengesteckt zu haben.

Speedo – die Erfindung zum Produkt

Aufschwung und Arbeitersuche in den 50er-Jahren

Im Jahr 1950 wurde das 125-Jahr Jubiläum mit einer „Fahrt ins Blaue“ für die ganze Belegschaft von Mettmenstetten und Hausen gefeiert. Mit dem „Roten Pfeil“, dem Zug aus den 30er-Jahren ging es an den Blausee, die glücklichen Gesichter zeugen von diesem speziellen Ereignis.

1951 wurde in Hausen die neue Weberei mit der breiten Eingangstreppe errichtet. Im 750 m2 grossen Websaal war Platz für 26 moderne Webmaschinen (noch immer mit „Schiffli“, Greifer-Webmaschinen gab es erst ab den 70-er Jahren).


Die “neue” Weberei 1951, rechts neben dem alten Langhaus von 1880 

Seit 1946 arbeiteten in den Websälen zunehmend junge Italiener und Italienerinnen, die in der Schweiz als erste Gastarbeiterinnen in der Textilindustrie ein Auskommen suchten. Diese wurden zu Beginn in den Zimmern der Grandezza oder bei bereits in der Landwirtschaft arbeitenden Italienern untergebracht. In der Hochkonjunktur anfangs der 1950er-Jahre wurde es immer schwieriger, Schweizer Arbeiter zu finden. Und so stammten im Jahr 1964 von den 185 Mitarbeitenden 62% aus Italien. Als eine Weberei in Bütschwil ihren Betrieb einstellte, reiste der Personalleiter eigens dahin, um neues Personal anzuwerben oder er ermutigte Arbeitende, weitere Familienmitglieder aus Italien zum Vorstellungsgespräch in die Schweiz einzuladen. Um ein gutes Betriebsklima zu fördern, hatte die hauseigene Zeitschrift «Seidenpost» einen italienischen Teil. Auch das «Centro Sociale» in Affoltern wurde von der Firma finanziell unterstützt. Der wachsenden Anzahl italienischer Arbeiterfamilien, stellte man günstige Wohnungen zur Verfügung. Dieser Wohnraum wurde in den diversen Liegenschaften, die noch im Besitz der Familiengesellschaft waren, zur Verfügung gestellt. Beispiele dafür sind die Häuser Müseggweg 7, Müseggstrasse 3 und 4, Jonenbachstrasse 4 und 6, Heischerstrasse 35 oder Albisstrasse 6. Es wurden aber auch zu diesem Zweck Mehrfamilienhäuser neu zugekauft, z.B.  an der Oberheischerstrasse 18 und Müllistrasse 3. Oder später auch neu erstellt wie die Häuser Schöneggstrasse 7, Rifferswilerstrasse 4 oder an der Heischerstrasse 33, um dem Personal genügend Wohnraum bieten zu können.

Zum gleichen Zweck wurden auch in Mettmenstetten Mehrfamilienhäuser erworben oder gebaut, wie z.B. an der Ottenloostrasse, der Maschwanderstrasse, der Rossauerstrasse und an der Alten Dachlisserstrasse. Das Weberei-Gebäude und das „Chloster“ als zugehörigem Wohnraum im Aeugstertal hingegen wurde 1964 samt Kraftwerk an die Gemeinde Aeugst verkauft. Das Kraftwerk wurde anschliessend bis 1971 in Pacht weiterbetrieben.

Ebenfalls im Jahr 1964 wurde die Firma in die neue Aktiengesellschaft „Weisbrod-Zürrer AG“ umgewandelt. Erster Präsident des Verwaltungsrates war Dr. Hubert Weisbrod.

Neue Märkte dank Welt-Exklusivitäten

Die Geschäftsleitung in Hausen hatte über all diese Jahre Hans Weisbrod inne. Seinem besonderen Geschick ist der Aufbau einer erfolgreichen Verkaufsorganisation zu verdanken. In den wichtigsten Absatzgebieten auf der ganzen Welt wurden ortsansässige Vertreter eingestellt. Hans Weisbrod hatte ein gutes Gespür für Neues und empfing viele Lieferanten, Kunden und Vertreter persönlich. Auch viele Musterungen und Kolorierungen nahm er selbst vor und setzte schon früh auf Markennamen für eigene Stoffkreationen und Garn-Exklusivitäten. Mit Produkte-Namen wie „LASCARA“, „SARONGA SILK“ und „VERLASCA“ betrieb man modernes Marketing mittels Modefotografien für Inserate, Plakate und Werbe-Broschüren.

Werbung der Weisbrod-Zürrer AG um1968

Die Zellwollgewebe (Viskose) wie z.B. der Bestseller „Nanking“ aus dem Spezial-Flammengarn «Fibranne» der Firma “Schappe Basel” verhalfen zu grossem Erfolg. Ins hochgedrehte Viskose-Garn wurden Crêpe-Schnitzel eingezwirnt. Gefärbt und ausgerüstet wurden die leuchtend farbigen Stoffe anschliessend in der Färberei Schlieren. Dank dieser Welt-Exklusivität konnte das Absatzgebiet auf Japan, Nordamerika und Australien erweitert werden. Diese Länder avancierten in kurzer Zeit zu Hauptmärkten für Weisbrod-Zürrer-Stoffe. In Europa hingegen fanden die knitterfreien Zellstoff-Gewebe etwas weniger Gefallen. Auch für die Arbeiter war die Qualitätskontrolle der Tausenden von Metern dieser Stoffe nicht ganz unbedenklich, reizten doch die Ausdünstungen der Farbstoffe die Augen. Es wurden deshalb die grossen Ventilatoren in die Lagerräume eingebaut, die noch heute zu sehen sind.

Eine weitere Welt-Exklusivität war die Herstellung des Moiré Galoche, eines Pfauenaugen-Moirés. Um diese Exklusivität zu schützen, wurden jeweils bei Besuch aus Japan die Webmaschinen mit der Verzugs-Walze und die Dressiermaschine (zum Quetschen des zweilagigen Stoffes, welches das typische Muster hervorbrachte) eingepackt und abgedeckt, um das Kopieren mittels Fotografien zu verhindern.

Der Moiré Galoche, eine Welt-Exklusivität aus dem Hause Weisbrod-Zürrer AG

Einen sehr guten Ruf auf den internationalen Märkten hatten auch die Krawatten-Seidenstoffe, diese wurden vorwiegend in Mettmenstetten gewoben.

Diversifikation mit Damenbinden und Wegwerfwindeln

Nach diesen erfolgreichen Jahren folgten wieder schwere Krisen. Neben der Unberechenbarkeit der Mode war die exportorientierte Produktion stark auf konstante Wechselkurse und eine stabile Wirtschaftslage in den Abnehmerländern angewiesen. Kaum traten auf dem Weltmarkt wirtschaftliche Schwierigkeiten auf, hatten die Betriebe in Hausen, Mettmenstetten und Darwen schwer zu kämpfen.

Der Geschäftszweig in England unter der Leitung von Richard Weisbrod musste sich den Wirtschaftsschwankungen anpassen. Nach der EFTA-Einigung in Europa 1960 fielen die Zölle und das Weben in England wurde hinfällig, nur die Krawattenweberei wurde aufrechterhalten. Während Jahren vertrieb Darwen die Sammelsendungen von Kleiderstoffen aus der Schweiz für die englische Kundschaft. Jede Woche traf eine Grosssendung ein, die sortiert, einzeln an die Kunden überbracht und fakturiert wurde.

Hans Weisbrod suchte mit seinem Bruder Hubert für die Betriebe in Hausen und Mettmenstetten nach einer Diversifikation der Aktivitäten in einem Geschäftszweig, der weniger von den Schwankungen der Modetrends und vom ausländischen Wirtschaftsgeschehen abhängig war. Richard Weisbrod in England und Hans in Ebertswil kommunizierten damals in Englisch und über ihre Privatadressen, um ja keine Nachricht ans Personal durchsickern zu lassen. Im Archiv liegen Briefe vor, die Hans in Ebertswil auf seiner Hermes Baby geschrieben hat, welche von der Dramatik jener Zeit zeugen. Die Firma befand sich 1956 in einem Liquiditäts-Engpass und man ersuchte die ZKB und die damalige Bankgesellschaft um Hilfe. In der Einleitung eines Briefes von Hans an Richard steht:

Today I got money from the Gemeinnützige Gesellschaft (Fr. 1’500), quite nice! But there are plenty of hard nuts to crack otherwise.“ Die ZKB schien auch “very nice!” zu sein. Die Bank hätte Vertrauen und würde die Firma nicht aufgeben, verlange aber weitere Nachrichten und Zahlen in drei Monaten.

Die Bankgesellschaft hingegen hatte viele Fragen gestellt und verlängerte den Kredit nur um zwei Monate. Man sei sehr pessimistisch gegenüber der gesamten Textilindustrie. Der Bankmanager fand aufgrund der Bilanz, man müsse den Umsatz von 6.5 Mio. auf 4.5 Mio. reduzieren, Lager reduzieren, Kosten senken und weniger riskante Investitionen tätigen. Man solle Aeugstertal und Darwen verkaufen, um zu Liquidität zu gelangen.

Ein Zufall führte aber 1957 zu einer neuen Chance: Mary Weisbrod, die Frau von Hubert, traf beim Golfspiel im Dolder den Amerikaner Mr. Joa, der Damenbinden-Maschinen herstellte. Er erzählte ihr, er habe eine Fabrik in Würenlos und sei unzufrieden mit dem Geschäftsleiter «No Good!». Er fragte Mary, ob sie jemanden kenne, der Land oder eine Fabrik hätte an einem Bahnhof. Das Produkt sei sehr voluminös. Sofort rief Mary Hubert und Hans zu Mr. Joa und diese offerierten ihm, die Binden-Fabrikation nach Mettmenstetten zu verlegen. Das Personal werde man umschulen und mit der Produktion könne bald begonnen werden. Es gäbe aber ein grosses Problem, die Weisbrods könnten nicht in Maschinen investieren. Mr. Joa antwortete: „No problem! I trust you. You get the machine and I’ll finance the setup. You give me just some Centimes royalty on each pack.” Er finanzierte den Umzug der Maschinen und erhielt dafür nebst einer Umsatzbeteiligung auch einige Aktien der Loring AG. Dass man in Zukunft nur bei ihm die Maschinen kaufte, gehörte zum Deal. In kurzer Zeit war alles geregelt und die Maschine für die Produktion der Hygiene-Artikel traf in Mettmenstetten ein. Sie war aber 2m zu lang, so dass kurzerhand die Fabrik auf der Bahnhofseite verlängert werden musste. Die Webermeister schulten sich in Würenlos um, und schon bald begann die Binden-Produktion in Mettmenstetten für die Migros.

Lastwagen der Loring in Mettmenstetten

Das Geschäft entwickelte sich gut, und bald kam die Wegwerfwindel „Milette“ dazu. Im Nu hatte die Tochterfirma Loring AG 50% Marktanteil in der Schweiz. Mit 5 Lastwagen-Lieferungen pro Tag bediente man das Zentrallager der Migros und bei Aktionen mussten Extra-Schichten geschoben werden. Nun musste man Land dazu kaufen und im Schnellzugstempo Lagerhäuser bauen: Der Beton-Hochbau am Bahnhof und die Produktionshallen dahinter stammen aus dieser Zeit. Fred Schmidli, der Schwiegersohn von Hans Weisbrod, war Betriebsleiter.

Für die Firma war dieses Geschäft ein willkommener Ausgleich zum krisenempfindlichen Textilgeschäft. Als aufgrund der Währungssituation der Export der Textilien schwierig war, profitierte man im Gegenzug beim Import des Rohstoffs Zellstoff (pulp) für die Loring. Zugleich aber hatte man grosse Bedenken, mit der Migros von einem einzigen Grosskunden abhängig zu sein. Die Unsicherheit, mit der Konkurrenz von „Pampers“ und „Peaudouce“ mithalten zu können, war gross.

Hans Weisbrod als Unternehmer

Hans Weisbrod war eine eindrückliche Persönlichkeit mit einer zurückhaltenden Herzlichkeit. Man spürte seine Kompetenz als Unternehmer und sein sicheres Urteil, das sich nicht blenden liess. In einem Artikel, den er als Präsident des Verbandes Schweizerischer Seidenstoff-Fabrikanten 1964 verfasst hat, spricht er über seine Sorge, dass die Schweiz in den Nachkriegsjahren unseriös über die Verhältnisse lebe. Unter dem Titel „Quo vadis – Schweizer Franken?“ fasste er dies in einem Vortrag so zusammen: „In einfachen Worten eines Familienvaters heisst das: Nicht mehr ausgeben als einnehmen, oder deutlicher, nicht mehr konsumieren als produziert oder importiert und bezahlt werden kann.“ Seine Bescheidenheit charakterisierte ihn ebenso wie seine grosse Leistungsbereitschaft. Er investierte viel Zeit in die Verbandsarbeit im Schweizer Textilverband, einem Zusammenschluss der verschiedenen Weberei-Verbände (Seide, Wolle, Baumwolle). Auch international wirkte er während vieler Jahre als Präsident der „Association Internationale de la Soie“.

Man musste Hans erlebt haben, wie er am Samstag mit zwei Pullovern in seinem ungeheizten Büro arbeitete, welches in einer Baracke untergebracht war. Alles andere wäre Luxus gewesen. Diese konsequente Haltung der Firma, sich ganz auf die Schönheit und Farbenpracht der Stoffe zu konzentrieren und sich im Baulichen und für die Repräsentation nur das Nötigste zu leisten, hat sich lange gehalten.

Ronald Weisbrods Jugend und Eintritt in die Hochblüte der Firma

Nach der Grundschule in England, und infolge der Trennung seiner Eltern besuchte Ronald Weisbrod das Knabeninstitut Briner in Flims ohne Deutschkenntnisse. Bisher sprach er nur Englisch und seine Muttersprache Französisch. Seine beiden älteren Schwestern Annette und Jacky blieben mit dem Vater in England und besuchten ebenfalls ein Internat. Die Mutter zog mit Ronalds jüngerer Schwester Denise ebenfalls in die Schweiz, zuerst nach Flims, dann nach St. Gallen. Dort heiratete die Mutter den Textil-Kaufmann Marcel Weiss. Aus dieser Ehe stammt Eric, der jüngere Halbbruder von Ronald. Das Auseinanderbrechen der Familie prägte Ronald stark. Er sprach erst im Alter von dieser schwierigen Phase seines Lebens.

Er besuchte, wie sein Vater damals, die Appenzeller Kantonsschule in Trogen, wo einige seiner langjährigen Freundschaften entstanden. In Ebertswil bei Onkel Hans und Tante Marion, die in dieser Zeit am Familienbuch „Die Seidenwaage“ schrieb, bereitete er sich auf die Maturität vor. Durch Wochenendbesuche und Ferien kam er so in engeren Kontakt mit dem Familienunternehmen in Hausen.

Nach der Matura 1961 begann er ein Praktikum in Hausen. Obwohl er ursprünglich eher Architektur studieren wollte, entschloss er sich nach diesem Jahr, ins Seidengeschäft einzusteigen. Der Start wurde ihm von der Firma mit einem eigenen Auto versüsst, was ihm ein willkommenes Stück Freiheit bescherte. Das Leben als potenzieller Nachfolger gefiel ihm und im Haus von Hans und Marion, «Zum weiten Horizont» genannt, später unter dem Namen „Weidli“ bekannt, fand er ein Zuhause.

Ronald absolvierte die Textilfachschule und anschliessend eine private Handelsschule in Zürich. Die Ausbildung wurde 1967 mit einem stage in Paris im Weisbrod-Vertretungsbüro Burg fortgesetzt. 1968 besuchte er in Amherst, Massachusetts, einen Sommerkurs der Business University. In York, Pennsylvania, arbeitete er als Allrounder in verschiedenen Silk Mills und reiste quer durch die USA. Für seine berufliche Tätigkeit war Ronalds früh angelegte Mehrsprachigkeit ein grosser Vorteil.

1969 trat Ronald Weisbrod als Juniorpartner in das Geschäft in Hausen ein. Zu dieser Zeit erlebte er, wie die Post täglich vom Patron Hans Weisbrod persönlich geöffnet und dem Personal verteilt wurde. Anschliessend wurden die Auftragseingänge zentral in dicke schwarze Bücher eingetragen. Alle Lieferungen kamen ausschliesslich auf dem Postweg. Die Telefonverbindungen waren noch sehr schlecht und teuer. Der Kundenservice hatte schon damals oberste Priorität. Die Spedition arbeitete oft bis spät in den Abend, wenn die Ware am nächsten Morgen versandt werden musste, um rechtzeitig in Rotterdam verschifft zu werden. In der eigenen Schreinerei wurden die Holzkisten für den Versand hergestellt.

Ronald übernahm als erstes die Verantwortung für die Nylon-Kollektion für karierte Badehosen. Zur bestehenden und gut laufenden Lascara- Kollektion entwickelte er passende Baumwoll-Voile-Dessins, dann eine Druckkollektion und dazu auch eine in Hausen gewobene Jacquard-Scherli-Serie. In St.Gallen kreierte er eine Stickerei-Kollektion auf Lascara. Mit diesen Neu-Entwicklungen reiste er als Verkäufer nach Japan und Korea. So erfuhr er aus erster Hand, was die Kunden erwarteten. Einmal liess er sogar eine Delegation in Hausen mit Alphorn und Fahnenschwingern empfangen. Und er veranlasste den Einbau einer Toilettenanlage, damit die Kunden aus aller Welt nicht mehr auf das aussen am Gebäude angebaute „Häuschen“ mussten…

Aus der Familiengeschichte

1970 suchte Ronald im Auftrag seines Vaters in der französischen Schweiz einen Alterssitz. Richard und seine zweite Frau José wohnten da bis zu ihrem Tod und widmeten sich intensiv der Kunstmalerei.

1971 heiratete Ronald die Ärztin Renate Aebli, eine Glarnerin, die er 1967 während seines stage in Paris als Studentin kennengelernt hatte. Die Hochzeitsreise führte sie in den fernen Osten, verbunden mit geschäftlicher Kontaktpflege. Die Familie wurde 1972 mit der Geburt von Lilian Sabine gegründet. 1974 kam Oliver Serge zur Welt und 1980 vervollständigte Christin Jeanne die 6. Generation. Ronald war oft auf Geschäftsreisen, was den Alltag der Familie prägte und bedingte, dass Renate nur begrenzt beruflich tätig war. Sie war ihrem Mann aber, wie zu dieser Zeit üblich, eine grosse Stütze in seiner Tätigkeit und sorgte dafür, dass er sich an den Wochenenden und in den Ferien im Kreise seiner Familie erholen konnte. Zudem war sie seine „Ghostwriterin“, Korrekturleserin und sein emotionaler Rückhalt bei personellen Schwierigkeiten, die ihn belasteten. Zudem genoss auch sie die Horizonterweiterung durch fremde Kulturen, die er ihr bei deren Besuchen in Hausen vorstellte oder die sie auf gemeinsamen Reisen kennenlernen konnte.

Die letzten gemeinsamen Jahre unter der Führung von Hans und Ronald


Hans und Ronald Weisbrod mit Kunden in Hausen am Albis, ca. 1975

1975, zum 150-Jahr-Jubiläum der Firma, wurde wieder eine Fahrt ins Blaue geplant. Diesmal aber als Überraschung am Ende einer Carfahrt. In Stein am Rhein erwartete die Belegschaft eine Schifffahrt und dann ein Zirkuszelt, in dem sie einen fröhlichen Abend erleben konnten.

1980, mit dem Eintritt von Edi Waldesbühl, kam es zur Modernisierung des Betriebs und es wurden die ersten Computer eingeführt. Durch die Umstellung auf elektronische Datenverarbeitung konnte endlich die zentrale Lagerkartei, die bisher täglich von Hand nachgeführt wurde, durch ein effizienteres System abgelöst werden. Die Verkäufer äusserten zwar grosse Bedenken, ob dies auch wirklich funktionieren würde. Die eigenentwickelte Software funktionierte jedoch sehr gut und wurde bis 2008 entsprechend den spezifischen Bedürfnissen weiterentwickelt. Dann wurde auf ein gängiges Textil-ERP umgestellt.

1985 wandelte Edi Waldesbühl im Hinblick auf die Einführung des BVG-Obligatoriums die 1926 gegründete „Stiftung für Personal-Vorsorge der Weisbrod-Zürrer AG“ zur firmeneigenen Pensionskasse um und präsidierte den Stiftungsrat. Diese unabhängige Pensionskasse führte er bis 2011 erfolgreich weiter. Dann wurde sie aufgrund der zunehmenden Komplexität in eine Sammelstiftung überführt. Die Patronale Fürsorge-Stiftung blieb bestehen.

1984 übernahm Ronald nach dem Tode seines Onkels Hans Weisbrod die alleinige Verantwortung für die Firma. Diese beschäftigte damals zusammen mit der Loring 277 Mitarbeitende und setzte bis zu 70 Millionen Franken um, ein Höchstwert in der Geschichte des Betriebes.